Interview

Interview mit dem Wilhelm Busch Museum
Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover

Frau Vina, wollen wir einen Schluss-Strich unter die Lichtenberg-Ausstellung ziehen?
Wie würde der aussehen? Mit Lineal oder ohne, mit Bleistift oder Computer?

Erinnern Sie die Abbildungen der Mandelbrot-Menge (auch Apfelmännchen genannt)? Das Besondere ist der gefranste Rand des Apfelmännchens. Er ist reich an Mustern. Diese Muster wiederholen sich zwar in gewisser Weise, aber am vermeintlichen Ende, stößt der Betrachter beim nahen Heranzoomen wieder auf den Umriss eines neuen Apfelmännchens. Geht man hier in die nahe Betrachtung tauchen wieder sich sehr ähnelnde kleine Muster auf und sofort…

Lichtenbergs Werk ist auch ein nicht enden wollendes Exempel. Es ist ein Apfelmännchen. Zeit- und Raumüberwindend. Aus diesem kann es in meiner Vorstellung keinen Schluss-Strich unter Lichtenberg geben; denn ich glaube, dass er sich, selbst nach Beendigung dieser Ausstellung, in viele betrachtende Köpfe eingeprägt hat um dort an wieder neueren Mustern zu arbeiten.

Auf Ihrer Homepage steht: „Vielfach illustriert Vina in ihren Werken Textzitate großer Satiriker wie z. B. Robert Gernhardt und Ringelnatz oder zu Aphorismen von Lichtenberg.“ Warum ausgerechnet Lichtenberg?

Viele seiner unzähligen Aphorismen und Sinnsprüche haben bei genauerer Betrachtung die unfassbare Eigenschaft tagesaktuell zu sein, obwohl er ja schon seit 1799 tot ist. Stehe ich vor einer geistreichen, zeichnerischen Herausforderung, blättere ich zuerst in Lichtenbergs Sudelbüchern, entweder um ihn später illustrativ zu zitieren, oder aber um seine Impulse in meine Arbeit einfließen zu lassen.

Wir bereiten gerade mit anderen Museen für Karikatur und Satire eine Online Präsentation zu Charlie Hebdo vor. Sie haben sich ja auch unmittelbar mit dem Anschlag auseinandergesetzt. Die Illustrationen sind zum Teil in der Lichtenberg-Ausstellung zu sehen. Können Sie uns dazu ein paar Worte sagen? Fällt ja nicht leicht, in diesem Zusammenhang seine Sprachlosigkeit zu überwinden! 

 ad 1: Der Anschlag auf Charlie Hebdo sollte nicht zur allgemeinen Sprachlosigkeit führen. Wohl, was die Tat und die sinnlose Ermordung unschuldiger Menschen angeht. Aber keinesfalls was Fassungslosigkeit in den Zeichner Riegen im satirischen und karikaturistischen Metier angeht.

 ad 2: Dieser brutale Einschüchterungsversuch verlangt nach MutmachMenschen mit spitzer Feder und treffendem Strich! Nicht nach dem Motto „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ (Otto Julius Bierbaum) vielmehr nach der Devise „Man kann vielen Menschen ihre Fehler abgewöhnen, indem man sie lächerlich macht.“ (Molière)

Momentan warten wir noch auf Bildmaterial, mit dem wir die Seite füllen können. Dürfen wir an dieser Stelle ein paar Bilder von Ihnen zu dem Thema zeigen?

Das dürfen Sie sehr gerne; denn die Beschäftigung mit diesen Zeichnungen möge hoffentlich dazu dienen, dass nicht die Schatten des Verdrängens und Vergessens über den Ereignissen vom 7. Januar 2015  ihren Platz finden.

Nun aber mal eine ganz allgemeine Frage – zeichnen Sie täglich? Und wie zeichnen Sie? Haben Sie Lieblingsthemen?

Meine Illustrationen sind in einer Art Misch Technik angelegt. Die Basis meiner Darstellungen sind manuelle Skizzen in Tinte oder Kugelschreiber, die ich nach Fertigstellung in ein Zeichenprogramm scanne. Die Entwürfe ‚übermale‘ ich frei Hand und lege den speziellen Fond und die Farbgebung in den Hintergrund. Mein Anspruch an ein Original beinhaltet, dass ich die Ursprungsskizzen vernichte und von dem dann entstandenen „technischen Unikat“ maximal einen signierten Leinwandausdruck anlege und als „das Original“ bezeichne. Kunstdrucke in sehr limitierter und bezifferter Auflage fertige ich in seltenen Fällen, wie z.B. für Ausstellungen in denen der Raum für großformatige Leinwände nicht ausreicht.

Meine Themen wähle ich je nach Befinden und haben keinen festen Inhaltsrahmen.

Uns sind die Lobhudeleien auf Ihrer Homepage aufgefallen, darunter die von WP Fahrenberg, dem Kurator der Lichtenberg-Ausstellung, aber auch von Marie Marcks, der wir uns sehr verbunden fühlen. Nach Lichtenberg zeigen wir unter anderem Marie Marcks. In Verbindung zu Ihnen ist sehr interessant, dass Sie beide klare Linien benutzen und keine Angst haben, die Farbe wegzulassen bzw. sehr pointiert einzusetzen. Ist das charakteristisch für Ihre Arbeit?

Marie Marcks ist eine sehr prägende Person in meinem Leben. Von jungen Jahren an hat sie mich mit ihren „Vereinfachungen“ in Bild und Text sehr beeindruckt und zur „Nachahmung“ angeregt.

Was meinen Stil betrifft, so hatte ich schon seit ich denkend und zeichnend bin eine große Affinität zur  Reduktion von Linien und Farbe. Und wenn ich ehrlich bin, begann es schon (und das ist ehrlich wahr, ich schwöre!!!), als meine Mutter uns Kindern aus Wilhelm Busch vorlas und wir über ihre Schulter blickend die Zeichnungen beäugen durften… später faszinierten mich u.a. Toulouse Lautrec, Gustav Klimt und selbstredend Picasso, jeweils durch jene Arbeiten, die entweder Vorzeichnungen (Vorzeichnungen sind grundsätzlich überaus spannend anzuschauen) waren, oder Werke, die in ihrer Umsetzung absolut reduziert waren.

In meinen Arbeiten versuche ich durch den immer gleichen gefärbten beigen  Hintergrund und nur sehr dezent eingesetzte Farben, den klaren Linien meiner Illustrationen noch mehr Aufmerksamkeit zu geben.

Haben Sie Marie Marcks kennengelernt? 

Als Marie Marcks vor einigen Jahren, durch einen guten gemeinsamen Freund, meine Zeichnungen vorgelegt und gezeigt wurden, war zwar ein gemeinsames Treffen im Gespräch, aber aus gesundheitlichen Unwegsamkeiten ihrerseits, hat es leider nie stattgefunden.

Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Ihre Themen im Sommer andere sind als im Winter bzw. ob Kreativität Jahreszeitenabhängig ist?

Meine Ideen sind meist Geistesblitze, die unabhängig vom Kalender sind. Eher sind aktuelles Tagesgeschehen oder persönliches Erleben Initialzündungen, die meine Gedanken auslösen und sich in meinen Zeichnungen entladen.

Und? Was machen Sie als nächstes?

Zurzeit sind speziell dargestellte „Wortspiele“ Grundlage meiner Zeichnungen. In einigen der hier gezeigten Charlie Hebdo Illustrationen sind sie, neben den von Zitaten untertitelten, zu sehen. Die Resonanz auf diese besondere Form des Zusammenspiels zwischen Zeichnung und Wortverdrehung,  ist dermaßen groß, dass ich nun an einem Buch arbeite und hoffe auf einen Verlag, der sich mit mir traut, sich auf einen etwas absurd witzigen Weg aufzumachen.